Das Hochstaplersyndrom – wenn sich Erfolge nicht echt anfühlen

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Das Gefühl, nicht zu genügen

Vielleicht haben Sie schon einmal das satirische Video von Browser Ballett über das Hochstaplersyndrom gesehen. Mit pointiertem Humor zeigt es Christina, die trotz sichtbarer Kompetenz überzeugt ist, ihren Erfolg nicht verdient zu haben. So überspitzt die Darstellung ist – sie berührt einen wunden Punkt, den viele kennen: das leise – manchmal auch drängende – Gefühl, eigentlich die falsche Person für die eigenen Aufgaben zu sein, irgendwann als „nicht kompetent genug“ durchschaut zu werden.

Das sogenannte Hochstaplersyndrom – oder Impostor-Syndrom – beschreibt genau dieses innere Erleben. Der Begriff wurde 1978 von den Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes geprägt. Er bezeichnet Menschen, die objektiv erfolgreich sind, ihre Leistungen jedoch innerlich abwerten. Nicht eigene Fähigkeiten, sondern äußere Umstände wie Glück, Zufall oder das Wohlwollen anderer scheinen für den Erfolg verantwortlich zu sein. Und mit diesem Erleben gehen oft Zweifel, Anspannung und ein ständiges Gefühl innerer Unzulänglichkeit einher.

Woher kommt dieses Empfinden?

Die Ursachen für das Hochstaplersyndrom sind individuell verschieden, folgen aber oft ähnlichen Mustern. Viele Menschen berichten von frühen Prägungen, in denen Leistung stark betont – oder widersprüchlich gespiegelt – wurde. Andere erleben, wie perfektionistische Erwartungen sie selbst im Rückblick daran hindern, eigene Erfolge anzuerkennen. Besonders in Umfeldern mit hohem Leistungsdruck verstärkt sich das Gefühl, „nicht zu genügen“, auch wenn es dafür keine objektive Grundlage gibt.

Nicht selten stehen hinter diesen Mustern grundlegende Schwierigkeiten im Umgang mit Selbstwert: Das eigene Können wird nicht wirklich „gefühlt“ – Erfolge werden analysiert, relativiert, entschärft. Die Folge ist nicht selten ein hoher innerer Druck, sich ständig beweisen zu müssen – begleitet von der Angst, irgendwann „enttarnt“ zu werden.

Was sich zeigen kann – und oft verborgen bleibt

Wer vom Hochstaplersyndrom betroffen ist, wirkt nach außen oft leistungsbereit, verantwortungsvoll, engagiert. Doch unter der Oberfläche zeigen sich nicht selten Zweifel, Unsicherheit und Überforderung. Es fällt schwer, Lob anzunehmen. Rückmeldungen werden hinterfragt, Erfolge kleingeredet. Um diesen inneren Druck zu kompensieren, investieren viele Betroffene übermäßig viel Energie – in Vorbereitung, Kontrolle, Anpassung. Nicht aus Freude an der Sache, sondern aus Angst, nicht zu genügen.

Solche inneren Prozesse bleiben oft unsichtbar – gerade weil sie von außen so diszipliniert, „funktionierend“ und erfolgreich wirken. Umso wichtiger ist es, das Thema aus der Tabuzone zu holen.

Was kann ich tun?

Ein wichtiger erster Schritt ist es, das Thema überhaupt anzusprechen. Das bedeutet, die Angst – und oft auch die Scham – zu überwinden, die dieser inneren Selbstbewertung meist innewohnt. Eine Psychotherapie kann dafür ein sicherer und vertraulicher Rahmen sein. Sie schafft einen geschützten Ort, um die inneren Muster zu erkennen und erste Veränderungen möglich zu machen – ohne Druck, sondern in einem eigenen Tempo.

Und: Dieses Erleben ist nicht selten. Viele Menschen – gerade im Berufsleben – kennen Phasen, in denen sie an ihren Erfolgen zweifeln, obwohl es dafür keinen äußeren Anlass gibt. Das kann verunsichern, ist aber kein Zeichen von persönlichem Versagen, sondern ein weit verbreitetes Muster, über das zu sprechen sich lohnt.

Warum man nicht „falsch fühlt“

Das Hochstaplersyndrom ist keine Einbildung. Es beschreibt ein reales inneres Erleben, das ernst genommen werden darf. Gleichzeitig ist es kein objektives Maß für die eigene Kompetenz, sondern Ausdruck eines inneren Konflikts zwischen Leistung und Selbstwahrnehmung. Sich diesem Konflikt im Gespräch zu nähern, kann ein erster Schritt sein, um das eigene Erleben besser zu verstehen – und mit mehr Klarheit und Selbstvertrauen wieder einen realistischeren und zugleich wohlwollenderen Blick auf sich selbst zu entwickeln.

Weiterführende Literatur & Artikel